Menottis Ansichten: FORSCHUNGSAUFTRAG E3.2005/ TRICKS DEN TAG AUS, MENOTTI

Auf einer Rasenfläche. Ein menschliches Wesen mittelgroßer Gestalt steht breitbeinig vor
zwei Stangen, die mit einer Querstange verbunden sind, dahinter ein Netz, vor ihm ein
weiteres Wesen. Mir scheint die beiden wollen verhindern, dass ein Ball von zwei weiteren
menschlichen Wesen mit dem Fuß ins Netz befördert wird.
Aber scheinbar geht es gar nicht darum, den Ball in das Netz zu befördern, sondern den
diversen anderen Anwesenden, die stehend dem Treiben zuschauen, auf verbale Art klar zu
machen, wer hier der König des Geschehens ist. Zwei Gestalten bewegen sich wie Rapper im
TV und rappen: „Wir sind die besten, die besten der Welt.“ Sie beherrschen ihre Rolle. Mal
schießen sie den Ball ins Tor, mal daneben. Echte Rap-Genies. Groover. Gangsta. Es scheint
auch nicht unmöglich, dass sie den Netzwärter, also diesen Typen, der vor diesem Gestell
steht, obwohl scheinbar ein Gegner, ein wenig auf ihrer Seite haben. Liegt hier Manipulation
vor? Ist es freier Wille? Mögen alle die Mafia?
Zwei andere Typen, von der Physiognomie her schmaler und großäugiger, sind konzentrierter
bei der Sache. Sie schießen etwa gleich viele Bälle wie die Rapper ins Netz, was ihnen
wichtig zu seien scheint. Scheinbar geht es ihnen darum, die Bälle ins Netz zu befördern.
Wollen sie das Spiel, das die anderen nicht wirklich spielen, gewinnen? Vielleicht weil sie
dadurch die Rapper auch auf ihrem Gebiet, also auf dem, was man die Rap-Bühne nennen
könnte, bezwingen wollen? Ist das möglich? Oder möchten sie gewinnen, weil sie das Spiel
spielen?
Liegt also gar ein Missverständnis vor? Ich...- ich wage es nicht zu entscheiden. Ein Typ
scheint lustig. Strubbeliges Haar. Knopfaugen. Ein ausgelassenes Wesen. Die übrigen
Gestalten wirken zum Kampf bereit, auf dem Sprung...
° Grad Celsius. Hohe Luftfeuchtigkeit. Wenig Wind. Sie nennen es Training, glaube ich.
(Karl Frosch, Feldforschung, Auftrag: E3/2005)
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„Hey Coach, Wallat, erzähl mal, wie war’s? Ist doch völlig verrückt so ein
Saisonauftaktsmatch mitten in der Woche, da kann selbst Menotti nicht immer...“
Coach Wallat bleibt vor dem Vereinsheim der SG 05 Ronnenberg stehen, ich sehe auch Frau
Bauer, „Hallo Frau Bauer,“
„Grüß Gott, Menotti.“
Wenn ich mich hier umschaue: idyllisch. Die Sonne steht schon tief. Eine Sportanlage, die
von einem kleinen Wald umgeben ist. Lange Schatten auf dem grünen Rasen, ein leichter
Wind. Herrlich.
„Menotti, wir können zufrieden sein. Wir haben zwar ne ordentliche Packung kassiert, aber
die Jungs... - gut, echt gut.“
„War ja schließlich das erste E-Jugend-Spiel der Jungs, Menotti,“ Frau Bauer wiegt ihren
Kopf zur Seite. „Ein 3 zu 7 ist nicht so schlimm.“
„Ethan hat alle drei Buden gemacht.“
„The Rocket?“
„Ist auf Klassenfahrt.“ Frau Bauer.
„Wir haben sogar eins zu null geführt.“
„Toller Pass von Ali.“
„Dann haben wir hinten super verteidigt. Rick, Oskar, davor Dario, zeitweise auch Carlos.
Groß. Und Bent im Tor. Immer sicher, immer gut. Stand lange 1 zu 0 für uns. Nach einer Ecke
gab’s den Ausgleich.“
„Der Ronnenberger Junge war auch einen Kopf größer.“
„Fisch oder Adler?
„Como, Menotti?“
„Adler, Menotti, Adler. Der ist riesig hoch gesprungen.” Frau Bauer lächelt. „Mann muss ja
auch sagen, ich mein’... – da waren einige einen Kopf größer als unsere Jungs.“
„Und dann?“ ich blicke mich um. Der neu verpflichtete Fitness-Coach Steffen trägt Ethan Del
Rio Roca wie ein Säugling aus der Umkleide heraus. Verletzt? Kollabiert?
„1 zu 1 zur Halbzeit.“
„1 zu 1???“
„Ja, aber dann haben wir gepennt, ich mein’ wir Fans. Wir hätten viel mehr anfeuern müssen,
viel, viel mehr. Das haben wir nicht gut gemacht,“ Frau Bauer schüttelt ihren Kopf,
„überhaupt nicht gut. Innerhalb von vier Minuten stand es 1-4.“
„Und dennoch gut?“
„Ja, Menotti. Weißt du, was verrückt ist? Die Jungs verbessern sich auch ohne Training. Das
Training gestern war der Knaller. Kaum einer gab den Ball ab, ein Hauen und ein Stechen,
drei rote Karten, schlimme Beschimpfungen, die besten Angeber der Welt, echte Genies der
dicken Hose, ein versuchter Amoklauf, alles dabei, und dann spielen wir heute, haben ein
Gegner, ein gemeinsames Ziel, und die Jungs kombinieren, spielen ab, hängen sich rein. Irre.“
Ich sehe Torben Gehrmann zufrieden mit seiner Ma in die Familienkutsche steigen, Fitness-
Coach Steffen stellt Ethan Del Rio Roca zurück auf die Beine, der ein wenig humpelt, aber
scheinbar doch des Gehens mächtig ist. Der Sportdirektor winkt mir von Weiten, seinen
Wagen Pacific Road besteigend, schmunzelnd zu.
„Menotti, die Woche war bisher scheiße. Nur Stress.“ Coach Wallat beisst sich auf die Lippe,
„Nur Mist. Totaler Mist. Mann, ich bin froh, dass das heute einigermaßen lief, und wir
Ronnenberg...“
„gewinnen ließen...“ Oskar Wallat kommt, mit seiner Sporttasche unterm Arm, anmarschiert.
„...dass wir Ronnenberg heut’ nicht mit Pistolen überfallen haben.“ Coach Wallat gibt mir die
Hand. „Menotti mach’s gut.“
Coach Wallat legt den Arm auf die Schulter seines Sohnes und die beiden gehen langsam über
den Parkplatz. Ihr Wagen scheint ganz am Ende des Parkplatzes zu stehen. Irgendwann
bleiben die beiden stehen, und Coach Wallat spricht. Oskar, der bislang nur auf den Asphalt
vor sich geschaut hat, blickt zu seinem Pa nach oben und nickt. Wenn ich es richtig
vernommen habe, hat Coach Wallat gesagt, dass er noch nicht wieder back home will, dass er
einfach weiter durch den Abend kurven will, Bob Dylan in den Player und kurven, einfach
kurven...
Wenig später sehe ich ein blaues Auto mit einer Dachbox über die Landstraße fahren, den
Wald verlassend, durch die Abenddämmerung brausend, den letzten Sonnenstrahlen entgegen.
Im Auto sicherlich Musik, mit Sicherheit. Und ein Junge, der sich freut, dass sich sein Abend
verlängert, zwei Jungs, die sich freuen, ihren Tag ein wenig auszutricksen...
 
Menotti
 
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